Wie alles begann
Das frühe 10. Jahrhundert
Im frühen 10. Jahrhundert wurde das eroberte slawische Siedlungsgebiet durch eine Reihe deutscher Burgwarde entlang der Mulde befestigt. In königlichem Auftrag sicherten die Döbener Burggrafen einen alten Muldenübergang. Wahrscheinlich eroberte 1117 Wiprecht v. Groitzsch diesen Burgward. Im Herbst 1188 wurde Otto der Reiche in Döben von seinem Sohn Albrecht gefangengesetzt, bis er auf Befehl Friedrich Barbarossas wieder freigelassen werden musste. Die reichsunmittelbare Burggrafschaft Dewin (Döben) fiel wohl schon vor 1286 an die Wettiner Markgrafen. Bald darauf übernahmen die Herren v. Luppa die Burggrafschaft Döben als dynastisches Lehen, das dann durch Heirat im 15. Jahrhundert in andere Hände überging.
Ein wieder-gefundener Schatz
Steinalt & steinreich – das ist Döben
Steinalt und steinreich – das ist Döben, ein kleines Örtchen, rechts der Mulde bei Grimma an den Felsen geschmiegt. In seinem hohen Alter hat es viele Geschichten erlebt. Doch nur Stück für Stück, wie ein Bild aus vielen kleinen Mosaiksteinchen, eröffnet sich die Döbener Geschichte in ihrem Reichtum dem, der sich ihr nähert.
Aus diesem Reichtum stammt der Schatz, der Anfang der siebziger Jahre aus meterlangen Akten im Staatsarchiv Leipzig gehoben wurde, in der Zeit, als man in Döben gerade versuchte, die Erinnerungen an die uralten Burg durch Sprengungen zu beseitigen: das Döbener Kochbuch. Wie kamen die Akten aus dem Döbener Schloß nach Leipzig? – Eine lange Geschichte !
Döben war wohl schon immer ein bedeutsamer Ort gewesen, ein umkämpfter Ort, ein Ort zum Träumen, ein Ort der weiten Blicke in die Umgebung, der starken Gefühle und der Phantasie – ein gesegneter Ort.
Hier beginnt meine Geschichte, die ihren Ursprung in dunkler Vorzeit hat und in der wir: – Sie und ich- heute die Hauptrollen spielen, bis wir sie mit unseren Lebenserfahrungen und eben unseren Rezepten an unsere Kinder und Enkel weitergeben.
Die Vor- & Frühzeit
Ursprünge der Ansiedlung in Döben
Die in Sippen umherziehenden Jäger, Fischer und Sammler der Jungsteinzeit ( 5./ 4. Jahrtausend vor Christus) ernährten sich von den gesammelten Beeren, Früchten und Wurzeln, von Fischen und Muscheln, die die Mulde reichlich führte . Ihre mutigen Jäger erlegten Auerochsen, Hirsche, Rehe und Wildschweine im schier undurchdringlichen Urwald.
Die Kenntnisse der Getreidewirtschaft und Viehzucht, im Nahen Osten und im östlichen Mittelmeerraum erworben, drangen mit Einwanderern erst ca. 3000 Jahre vor Christus auf alten Pfaden von Böhmen über das Erzgebirge in unser Gebiet ein. Sie konnten nun pflügen und in ihren keramischen Gefäßen Nahrung für den Winter bewahren. Natürlich wurde weiterhin gejagt und gefischt, aber sie ernährten sich zunehmend von dem Fleisch ihrer Rinder und Schweine – aus Ur und Wildschwein gezüchtet. Weizen, Gerste, Rispenhirse, Saaterbsen, Linsen, Mohn, Lein, Haselnuss, Apfel und Schlehe dienten wohl eher zur
Beilage.
Auf den fruchtbaren Lößböden der wenigen unbewaldeten „Inseln“ und den Ebenen an der Mulde konnte erfolgreich Ackerbau betrieben werden. – Die Bevölkerung wuchs.
Die Menschen wurden sesshaft !
Zur Bronzezeit kamen Krieger von weit her, um hier, an der Quelle am heiligen Stein, neben den Gräbern ihrer Ahnen ihre Schwerter zu wetzen und segnen zu lassen. Der Stein liegt noch immer im Halbschatten am Rande des Döbener Waldes bei der Quelle, die Spuren seiner Geschichte -Wetzscharten und Mulden für die Opfergaben – finden sich unter dem Moos. Diese Spuren sind wohl dreitausend Jahre alt!
In jener Zeit besiedelten die Menschen eine Hochfläche die ca. 35 m oberhalb des heutigen Muldenniveaus bei Döben an einer schroffen Felskante mündet. 3 Seiten sind von tiefen Seitentälern umgeben, hinter denen sie zu ihrem Schutz eine mächtige Palisaden-Erdwallkonstruktion errichteten. Mit seiner ca. 450 x 350 m2 großen Grundfläche wurde der „Zettenwall“ eine der größten Vierecksanlagen Sachsens, die heute im Wald noch erahnbar ist. Der Ausblick neben der „Feueresse“, einer Quarzporpyhrsäule an der Felskante, auf die weit unten dahin fließende Mulde, ist auch im 21. Jahrhundert nach Christus noch atemberaubend!
Um das Jahr 800 vor Christus wurde das Klima in unseren Gebieten wieder feuchter, die Bevölkerung des damaligen Muldentales wanderte in andere Gebiete ab oder starb aus? Zu wenige Zeugnisse sind aus dieser Zeit auf uns gekommen. Aus dem Hannoverschen rückte eine Gruppe nach, aus der später wohl die Germanen erwuchsen. Keltische Einflüsse aus dem südlichen Erzgebirge und Böhmen brachten Wissen über die Bearbeitung des gerade entdeckten Eisens, die Töpferscheibe und die Drehmühle in der Getreideverarbeitung in unsere Gegend. Fürsten oder „Herren“ waren die, die sich im Kampf oder bei der Jagd bewährt hatten –„ Primus inter Pares“- im keltischen Bereich beherrschten neben der kriegerischen Aristokratie die Druiden mit ihrem Wissen über Kräuter und Magie ihre Stammesgenossen.
Der elbgermanische Stamm der Hermunduren besiedelte um 500 vor Christus den sächsisch-thüringischen Raum und lebten hier fast 1000 Jahre. Wohl hatten sie an den Kriegen des 3. Jahrhunderts nach Christus teilgenommen, zahlreiche Grabbeilagen römischer Produktion aus Glas und Bronze zeugen davon.
In der Mitte des 1. Jahrtausends nach Christus zogen die Germanen weiter in den Westen. Flohen sie vor den Hunnen? Die aber schwenkten nach Ungarn, die nachrückenden Slawen –Sorben und Wenden -nutzten die Gunst der Stunde 600 nach Christus und ließen sich hier kampflos nieder. In erster Linie waren sie Bauern, denen der Zettenwall als Fluchtburg sehr gelegen kam. Von ihnen erhielt die Landschaft zwischen Leipzig bis Rochlitz an der Mulde auch ihren Namen: „Chutizi“. Den Slawen wird in den Quellen des beginnenden 20. Jahrhunderts mit der Verherrlichung des Germanentums jegliche Kreativität und Entwicklungsfähigkeit abgesprochen, ja sogar Untüchtigkeit unterstellt. Sie aber prägten die Landschaft mit ihren Sippendörfern, deren Namensendungen auf -itz, -ow/-au, -zig, -in/-en oder- nig heute noch an ihre Gründer erinnern (wie Rochlitz, Schleinitz, Glauchau, Zwenkau, Leipzig, Trebsen, Wurzen, Lausick, Leisnig) Es bildeten sich schrittweise größere Stammesverbände, deren Führungsschicht aus Priestern, Kleinkönigen, Heerführern und Stammesadel bestanden.
Die Zeit der Ritter
König, Christus, Prunk & Einfluss
Heinrich der 1. war im beginnenden 10.Jhd. beseelt von dem Willen, die Ostgrenzen des gerade geborenen Deutschen Reiches gegen die Plage der einfallenden Ungarn zu sichern und seinen Machtbereich zu erweitern. Er eroberte das slawisch besiedelte Gebiet Daleminci zwischen Leisnig und Meißen und gründete 929 die Burg Meißen als eine „östliche Speerspitze“ seines Reiches.
Entlang der Flüsse Elbe und Mulde entstanden weitere Burgwarde, unter anderem Strehla, Leisnig, Rochlitz und eben auch Döben. Hier wurden Ritter ansässig, die das eroberte Land für den König verteidigten und verwalteten. Die slawischen Bewohner blieben Halbfreie, sie bewirtschafteten weiterhin das Land und waren nun den Burgmannen tributpflichtig. Mit sich brachten die Ritter die neue Religion, den Glauben an Jesus Christus.
Auf der höchsten Erhebung in Döben wurde eine Kirche errichtet. Wo der Standort des ersten Burgwardes namens Grobi war, lässt sich heute nicht mehr- oder noch nicht- festlegen. Vermutet wird, dass er auf dem Berg, am heutigen Standort der Kirche lag oder etwa 30 Höhenmeter darunter, im Bereich des Felsspornes, der sich über einem Muldenknie erhebt, auf dem heutigen Schlosshof. Eventuell ist es sogar denkbar, dass Kirche und Felssporn in einer Anlage zusammen gefasst waren- eine von Palisaden umgebene Holzburg mit einem steinernen Burgturm. Jedenfalls war es eine der bedeutendsten Anlagen Sachsens in der Zeit..
Die Kirche in Döben war von Beginn an vermutlich Jungfrau Maria, der Mutter Gottes geweiht. Die Sorben ließen sich wohl von dem steinernen Tempel, der mächtigen schönen Göttin und ihrer starken Diener, den Rittern, beeindrucken. Im sorbischen heißt „Deva“ „schöne Frau, Jungfrau“.
Entstand so der Name unseres Dorfes aus der Bewunderung der Sorben für Maria, die aus dem Burgward Grobi Dewin- der Ort der schönen Frau- und später Döben machten?
Im 11. Jahrhundert war die Christianisierung von Sachsen weitestgehend abgeschlossen, im 12. Jahrhundert kamen große Mengen von Bauern aus dem Kernland des deutschen Reiches, die sich in unserer Gegend ansiedelten.
Die nun zahlenmäßig weit überlegenen Neusiedler und die alte slawische Bevölkerung waren rechtlich gleichgestellt und verwuchsen zu dem Neustamm der Sachsen. Mehr und mehr wurde Deutsch zur Landessprache, das Sorbische verschwand allmählich. Nur in der Oberlausitz hat sich diese Sprache bis zum heutigen Tage erhalten.
1117 brach eine Katastrophe über den Burgward Dewin herein, Wiprecht von Groitzsch d. J. erstürmte, plünderte und zerstörte die Burg Döben und 24 weitere befestigte Orte, wohl aus Rache an seinem Landesherren. In den Jahrbüchern des Pegauer Klosters liest sich das so:
“Die tollen Streiche des jungen Wiprecht …Hierauf brachte er das Land ringsumher durch Gewalt in seinen Besitz und gab es seinen Leuten zu Lehen. Nach ungefähr neun Wochen bemächtigte er sich mit List des Burgortes Dewin und erbeutete dort eine solche Menge von Gold, Silber, Kleidern, Rossen und anderen Dingen, dass einzelne seiner Leute sich damit bereicherten. Im Besitze dieser Burg unterwarf er sich in kurzer Zeit vierundzwanzig umliegende kleinere Burgen . …“
Hier begann die Auflösung des Burgwardes Dewin, der sich nun zu einem Burggrafensitz entwickelte.
Vor einigen Jahren traten unsere Rinder auf dem Schlossgelände einen Säulenrest frei, der von den Denkmalpflegern in die 1140 er Jahre datiert wurde. Er ist eines der frühesten steinernen Zeugnisse der Döbener Burg, das wir bisher gefunden haben.
Ein wenig später -1188- fiel das Licht der damaligen Weltöffentlichkeit auf den Döbener Burgberg: Otto der Reiche hatte, dem Rat seiner Frau folgend, die Erbfolge zugunsten seines nachgeborenen Sohnes Dietrich den Bedrängten geändert.
Sein Ältester, Albrecht – der Unartige!- (der Stolze) war nicht einverstanden und setzte seinen Vater kurzerhand im Taubenturm der Döbener Burg gefangen. –So schreibt es die Sage…
Barbarossa höchstselbst musste sein kaiserliches Machtwort erheben, um dem Erbstreit ein Ende zu setzen.- Glücklicher wurde danach keiner der Streithähne. Aber 650 Jahre später ist darüber eine schillernde Erzählung entstanden: „ Die Tafelrunde der Burg Döben an der Mulde“ von Dr. E. Dietrich, 1834 in Meißen herausgegeben.
Die heute so gern in historischer Umgebung gefeierten „Rittermahle“ lesen sich bei Dietrich folgendermaßen:
“So fasste denn Döben den Glanz der Ritterschaft des Meissner- und Oster-, ja zum Teil des Thüringerlandes und des reichen königlichen Böhmens in sich und sollte in seinen Mauern ein Bankett sehen, welches den prunkenden Reichtum und die verschwenderische Gastfreiheit seines Besitzers bezeugen sollte….. Zur Tafel rief der Trompetenruf; die köstlichsten Speisen jener Zeit belasteten sie, und nach Rang und Würde saßen, durch Edelknaben bedient, die hohen Geladenen der Fürstentafel, die, wie einst die des Königs Arthurs, eine große Tafelrunde bildete.
Köstliche Schaugerichte fesselten das Auge, und der Köche Kunst hatte alles köstlich ausgeschmückt. Hier prunken der Pfau mit seinem Sternenschweife, dort das mit goldenen Kränzen geschmückte, schwarze Haupt des bewaffneten Ebers, welchen Ottos eigene Hand auf einer Streifjagd erlegte; hier lud der Zimmer des 48-endigen Hirsches zum Genusse ein; dort winkte Trapp` und Auerhahn, Birk- und Haselhuhn und die köstlich mundende Waldschnepfe; hier duften Mehl- und Eierspeisen, mit Honig zubereitet, und der Freude Spender, die Gabe der edelsten Rebenberge des Rheingaues und der köstliche Gewürzwein perlte in Humpen und Pokal.“
Bei all der beschriebenen Pracht war das Leben auf einer Burg wie Döben eine wahre Herausforderung! – Selbst neuzeitliche Berichte vom nächtlichen Besuch auf dem „Örtchen“ (um 1940) lassen den Atem stocken: Mit der Kerze in der Hand und wehendem Nachthemd die langen, eisigen Flure entlang gehuscht, endlich den richtigen Erker gefunden, die Tür knarrend geöffnet, den Deckel gehoben – und: der Luftzug löschte die Kerze und die
erschreckten Fledermäuse strichen flatternd am Kopf vorbei. Nicht nur für ein 5- jähriges Mädchen ein Alptraum- heute, 65 Jahre später, richten sich noch immer die Nackenhaare auf, wenn die Tante erzählt.
Die Temperaturen in so einem gewaltigen Baukörper ließen sich kaum beherrschen, natürlich waren einzelne Räume geheizt, aber aus den großen Hallen und Fluren ließ sich die Kälte und Zugluft nicht verbannen- selbst der Wein soll hier und da in den Gläsern gefroren sein.
Sicherlich auch durch diese Umstände war die Lebenszeit der Menschen –nicht nur in den Burgen- sehr begrenzt, Gicht und Rheuma begleiteten das Alter, das ab 30 einsetzte.
Im bäuerlichen Bereich wurden Sommerroggen, Hafer, Hirse, Hanf und Flachs in der Dreifelderwirtschaft angebaut, man hielt Schafe, Ziegen, Hühner und Enten und ernährte sich von Getreidebrot, Schafkäse, Eiern, Honig, Schafs- und Hühnerfleisch.
Die Burgen wurden vom Kaiser mit treuen Präfekten/ Burggrafen besetzt, die von ihm dazu Land und andere Einkünfte zu Lehen erhielten.
Es steht wohl der erste Döbener Burggraf, Conrad, in Stein geschlagen – nach Gurlitt „unbeholfen und glotzäugig“ neben dem romanischen Taufstein in der Döbener Kirche und grüßt aus vergangener Zeit- In seine Lebenszeit um 1185 müsste die Gefangennahme seines Herren, Otto des Reichen in Döben gefallen sein -Würde er dann aber ein solches Grabmal erhalten haben? Andere Quellen behaupten, der alte Ritter sei Erkenbert, eventuell der Sohn Conrads? Die Steine wissen es, wir (noch) nicht.
1228 brach Landgraf Ludwig der IV von Thüringen, der Vormund des 10- jährigen sächsischen Markgrafensohnes Heinrich, zum 5. Kreuzzug in das heilige Land auf, zu dem ihn auch Albert und Erkenbert II de Dewin begleiteten. Ludwig erlag während der Reise einer Krankheit, aber zumindest Albert kehrt 1230 wieder nach Grimma zurück- ein Lied besingt die Tapferkeit der Döbener Ritter.
Das Lehenswesen hatte sich im 13. Jahrhundert zugunsten der Landesfürsten geändert, der direkte Einfluß des deutschen Kaisers oder Königs auf Burgstandorte wie Döben war geringer geworden. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in der Verleihung der Kurwürde an Landgraf Friedrich den Streitbaren 1423. Aus der Mark Meissen ging das Kurfürstentum Sachsen hervor.
Die Burgwarde waren nun dem Landesherren untergeordnet, die Linie der Erkenbertinger zu Döben erlosch und mit ihnen auch die reichsunmittelbare Burggrafenschaft.
Die Wettiner waren jetzt die bestimmende Kraft im Lande. Heinrich der Erlauchte und seine Nachfahren brachten die seit Anfang des 13.Jahrhunderts aufstrebende Stadt Grimma zur Blüte.
Der Muldenübergang wurde 1292 bei der Grimmaer Burg errichtet und sicherte den Grimmaern einen regen Handel und Wandel mit dem Fernverkehr.
An diesem Punkt verlor Döben seine herausragende Bedeutung in der deutschen Geschichte, es entwickelte sich zu einem sächsischen Rittergut mit den dazugehörenden Dörfern.
Die Leisniger Burggrafen erhielten es zu Lehen.
So traten nun einige Familien hier auf, die dieses Rittergut bewirtschafteten, die Familie von Luppa lebte hier wohl bis 1440, danach die Familien von Maltitz, von Hirschfeldt, von Canitz, von Schönfeldt, von Arnim und ab 1783 bis 1945 die Familie von Below/ von Böhlau.
Die Zeit der Ritterguts- besitzer
Zwischen Tragödie & Komödie
Aus dieser Zeit sind mir einige Geschichten bekannt, Tollheiten, Drolligkeiten, entsetzliche Schicksale und blühende Liebesgeschichten.- Wie es im Leben eben so ist.
Einige Geschichten stammen aus den Unterlagen des Grafen Günther von der Schulenburg, der mit Herta Meta von Böhlau aus dem Hause Döben verheiratet war. Die Chronik, von der nur 3 Exemplare existieren, wurde 1933 geschrieben, aber nie gedruckt.
Meine Zitate daraus setze ich in kursive Schrift, ich habe mir erlaubt, an manchen Stellen in das heute verständliche Deutsch zu übersetzen.
Die Damen stehen in den frühen Quellen oft im Hintergrund, es sei denn, sie waren machthungrig oder heilig.
Ihr Kriegsschauplatz lag in der Regel zu Hause, unspektakulär, aber in Tapferkeit, Klugheit, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Größe standen sie ihren Männern sicherlich nicht nach.
Erst später wurden dann in den Familiengeschichten neben den üblichen Datenangaben über Herkunft, Geburt, Tod, den Tag der Hochzeit und die Anzahl der Kinder Dinge wie besondere Schönheit, außergewöhnlicher Reichtum, Hässlichkeit oder Tapferkeit erwähnt.
Bei den Herren finden oft die militärische Laufbahn , die Schlachten, die Besitzungen, die Ausbildung und die Reisen Anerkennung und Erwähnung, ja, in unserer Familienchronik wurde sogar von einem Vorfahr meines Mannes kurz bemerkt: „Er las dreimal die Bibel !“.
Aber weiter mit den Geschichten aus Döben: Von seinem verschuldeten Schwager Christoph von Maltitz kaufte 1554 Heinrich von Hirschfeld das Rittergut Döben für seine vier Söhne Georg, Bernhard, Hans und David. Die lebenslustigen jungen Leute führten ein ungebundenes Dasein in Döben, sie genossen die Freuden der Jagd und hielten sich dabei nicht immer an die Grenzen ihres Gebietes. Um so energischer traten sie auf, wenn ihre vermeintlichen Rechte von anderen verletzt wurden. … Im Jahr 1559 wurde ein Teil der damals noch hölzernen Wirtschaftsgebäude durch Blitzschlag eingeäschert, ein Ereignis das auf die Brüder keinen allzu großen Eindruck gemacht zu haben scheint… Als fröhliche Junker waren die vier Brüder Hirschfeldt in Döben eingezogen, nur kurze Zeit erfreuten sie sich eines ungetrübten Lebens darselbst. …Durch eine unbedachte Tat kam es zur Teilung des Besitzes, das Böhlener Rittergut -auf der anderen Muldenseite- musste daraufhin um 1560 von dem Döbener Land abgetrennt werden und wurde später an eine andere Familie verkauft. Daraus resultierte ein Jahrhunderte dauernder Konkurrenzkampf besonders um Mahl- und Fischereirechte, der beiden Gütern schadete.
1569 erwarb Elias von Canitz das Rittergut Döben, weil die fröhlichen Junker den Besitz nicht mehr halten konnten.
Elias von Canitz drückten allerdings nicht so sehr die Geldsorgen, als viel mehr sein calvinistisches Bekenntnis, das seinem Landesherren, „Vater August“ – Kurfürst von Sachsen – auf`s Äußerste missfiel. Nach sieben Jahren härtester Auseinandersetzungen verkaufte Canitz seine 3 Güter in Sachsen, um auszuwandern. Er begründete in Schlesien eine bedeutende Linie seiner Familie. Die einzige Erinnerung an ihn in Döben ist uns in einem Altarbild in der Kirche geblieben, in dem er mit seiner Frau und seinen sechs Kindern vor dem gekreuzigten Christus kniet.
1576 verkaufte ein Mittelsmann den Döbener Besitz an Ernst von Schönfeldt.
Hier komme ich zurück auf die leidenfähigen, tapferen Frauen, – wir befinden uns jetzt im 1. Drittel des 17. Jahrhunderts, Pest und 30- jähriger Krieg forderten auch im Döbener Bezirk ihren Tribut. Eine der starken Frauen in Döben war Anna von Lüttichau, verheiratet mit Hans Asmus von Schönfeldt , Besitzer des Rittergutes Döben.
Hans –Asmus muss ein Heißsporn gewesen sein, die Schulenburg`sche Chronik schreibt Folgendes über ihn:
Am Beginn des Jahre 1644 ließ sich Hans- Asmus zu einer schweren Untat hinreißen…
Er erregte sich an einer Nichtigkeit und stach Martin, dem Diener eines Zechbruders die Degenklinge in den Unterleib. Der Mann erlag am anderen Morgen der schweren Verwundung.
Hans Asmus versucht durch Verschleppung- Hinhalten und Nichterscheinen vor dem Gericht- seiner Bestrafung zu entgehen und hielt sich zeitweilig außer Landes auf.
Anna, seine Frau borgte sich so viel Geld von ihren Verwandten wie möglich, um den Niedergang der Familie abzuwehren und kaufte das Rittergut Döben. In ihrem folgendem Schriftwechsel, ihren Erlassen nennt sie sich dann auch: „Frau zu Döben“ -Ein damals sehr ungewöhnlicher Vorgang !
Der Kurfürst hatte öfters Bericht über den Stand der Untersuchung verlangt und nach Einsicht der Verteidigungsschrift dem Rat zu Grimma seine Ansicht kund getan. Der Rat schreibt am 23.9.1649: „ Nach dem Kurfürstlichen Befehl ist zu befinden, dass Hans Asmus am Leben nicht zu bestrafen sei.“ Er sollte zur gefänglichen Haft gebracht und mit Reusenschlägen oder Abhauen einer Faust, welche er am füglichsten entbehren kann und Landesverweis bestraft werden.
Hans Asmus erwirkte eine Umwandlung seiner Strafe in eine erträgliche Geldstrafe, die er jedoch nicht aufbringen konnte, da er hoch verschuldet war. Krieg und Pest hatten die Menschen dahingerafft, viele Felder waren unbestellt, Häuser zerstört , von marodierenden Truppen geplündert, das Vieh geschlachtet oder gestohlen, das Saatgut verbrannt oder zu Mehl vermahlen, die Wirtschaft lag am Boden.
Es fehlten Menschen, das Land zu bestellen.
Für die wüsten Güter Käufer zu finden, bemühte sich Anna vergebens. Schließlich gelang es ihr, einige derselben zu verschenken, doch musste sie Holz zum Wiederaufbau der zerfallenen Ställe und Scheunen unentgeltlich liefern.
Anna kämpfte 3 Jahre lang mit eisener Energie um den Erhalt des Gutes, aber im Herbst 1660 kam es doch zum Konkurs. Das Gut wurde im Mai 1661 für 35.000 Gulden an Wolf Christoph von Arnim verkauft.
Wolf Christoph war wohlhabend und mühte sich, die wüst liegenden Felder wieder beackern zu lassen, aber ständiger Streit mit seinen verarmten Untertanen um die Frondienste erschwerten die Wiederbelebung des Rittergutes Döben, er starb im Jahre 1668.
Sein Sohn, Christoph Julius, vom Kurfürsten im Juni1668 zum Kammerherren ernannt, hatte sich im Dezember 1668 mit Sophie von der Schulenburg vermählt.
Nachdem Julius noch mehrere Jahre in Militärdiensten geblieben war, bat er am 28.10.1674 um Dimission, da ihm vor einem Vierteljahr sein Eheweib leider mit dem Tode abgegangen sei und ihm drei kleine Kinder nebst einer zerrütteten Haushaltung zurückgelassen habe; dass seine Besoldung um 17 Monate in Rest stehe und er daher von seinem eigenen Gelde in dem verlassenen Hauswesen habe zusetzten müssen…
Er erhielt seinen Abschied, siedelte mit seinen Kindern nach Döben um und verheiratete sich ein zweites Mal.
Seine ganze Kraft setzte er in den Wiederaufbau von Döben, er baute die Brauerei neu auf, erweiterte die Kirche, kaufte Flächen dazu und ließ 1695 das letzte Todesurteil im Döbener Gerichtsbezirk vollstrecken.
Die zweite Ehe von Julius war in späterer Zeit nicht glücklich, die Ehegatten entfremdeten sich allmählich und bezichtigten sich gegenseitig der Untreue. Die Frau verließ schließlich Döben , siedelte nach Dresden über und verklagte ihren Mann wegen Ehebruchs. Julius berichtete darauf am 6. September 1692, dass die Denunziation seines Eheweibes nur aus Bosheit und aus ihrem treulosen Beginnen erfolgt sei.
Sigismund, der jüngere Sohn Julius` übernahm die Wirtschaft in Döben, er hatte hohe Schulden abzubezahlen, konnte aber auf einem inzwischen ertragreichen Gut wirtschaften. Viele Streitereien machten ihm das Leben schwer, die Bauern wehrten sich vermehrt gegen die Frondienste und mit dem erstarkenden Selbstbewusstsein der Grimmaer Bürgerschaft entwickelte sich ein langes Ringen um verschiedene Rechte wie z.B. Fischereirechte auf der ‚Mulde und um den Absatz des Bieres.
Das Döbener Bier soll von jeher sehr gut gewesen sein, da es mit besonderem Wasser gebraut wurde – Wasser von jener Quelle, die schon vor Urzeiten am heiligen Stein sprudelte.
Schon vor 1445 wurde in Döben Bier gebraut, es war nach langen Streitereien zwischen den Brauern der Stadt Grimma und der brauenden Dorfbevölkerung vertraglich genau festgelegt, an welchem Ort welches Bier ausgeschenkt werden durfte. Graf Schulenburg schreibt dazu: Wie scharf beobachtet wurde, ob auf den Dörfern fremdes Bier getrunken wurde, zeigt ein Fall aus dem Jahre 1730. Der Bürgermeister wurde bei Sigismund vorstellig, dass bei einer in Bröhsen abgehaltenen Hochzeit nur ¾ Grimmaer Bier aufgelegt worden sei, dahingegen ein gutes Quantum fremdes Bier getrunken wäre… Der Bürgermeister verlangte die vereinbarte Strafe. …
Das Familienleben in Sigismunds Haus scheint sehr glücklich gewesen zu sein, eine große Kinderschar umgab die Eltern. Von 13 Kindern, welche ihm seine Frau schenkte, wuchsen 5 Töchter und ein Sohn, Christoph Ehrenreich, heran.
Der siebenjährige Krieg von 1756 -1763 verbreitete seinen Schrecken, Sachsen war in Feindeshand und diente dem preußischen Heer als Rekrutierungsreserve, Winterquartier, als Lieferant für Proviant und als Finanzquelle.
Die immer höher steigend Abgaben und Fahrdienste bedrückten auch die Bewohner Döbens. Der Vorrat an Hafer und Heu war bald erschöpft. Trotzdem drohte man denen, die nicht liefern und für das fehlende Getreide nicht zahlen konnten, mit Exekution. Unruhe machte sich breit, sie…griff auch auf die Frauen der Gärtner und Häusler über, die keine Erdbirnen haben wollten. Der Kartoffelbau hatte seit etwa 20 Jahren eingesetzt und sich zunächst als Gartenfrucht schnell eingebürgert. Die Weiber fürchteten, dass die Herrschaft ganze Äcker mit der neuen Frucht bestellen würde, die sie dann hacken und roden müssten. Als die Weiber auch die vereinbarten Frondienste nur gegen höheren Lohn tun wollten und zu solchen Forderungen teilweise von ihren Männern angestachelt wurden, mussten einige von diesen eingesteckt werden, um ihre Frauen für die schuldige Dienstpflicht gefügig zu machen. …
So war das also vor 250 Jahren in Döben!
Bei dem vielen Kummer, den Christoph in seiner 30- jährigen Amtstätigkeit in Döben erleben musste, hatte seine Arbeitsfreudigkeit gelitten. Er…wollte das Beste für seine Untertanen. Man sagte ihm nach, dass er etliche 1000 Obstbäume im Döbener Gerichtsbezirk gepflanzt habe…. Sein einziges Kind, Marie Charlotte vermählte sich 1779 zu Döben mit dem sachsencoburgischen Landjägermeister Anton Sigismund Justin von Below.
Die Below`sche Familienchronik schreibt dazu: „Da seine Mutter eine geborene v. Arnim aus dem Hause Döben war, wählte er (Anton Sigismund Justin) ebenfalls seine Ehefrau aus diesem Hause, und er tat gut daran, denn sie war die reiche Erbtochter des Landkammerrats Christoph Ehrenreich von Arnim auf Döben.…“
Christoph harderte mit dem Schicksal, welches ihm keinen Sohn gab. Er ärgerte sich über das Benehmen seiner Lehnsleute, deren Wohl ihm am Herzen lag. Er fühlte sich vereinsamt, sehnte sich nach Ruhe und übergab 1782 , erst 54 Jahre alt, den Besitz seiner Tochter Marie Charlotte, die das Gut für 70.000 Taler übernahm.
Wieder war es eine „Frau zu Döben“, die die Geschicke nun lenkte. Ihrem Wirken wird auch die Entstehung der Sammlung zugeschrieben, aus denen die hier vorgelegten Rezepte stammen. Aus den Rezepten lassen sich der Wohlstand und die Vielzahl der erreichbaren Nahrungsmittel ablesen, die zu der Zeit im Hause Döben herrschte.
Ihr Mann hatte zwar durch Einheiraten ein großes Gut in die Familie gebracht, litt aber zeitlebens unter der Vorrangstellung seiner Frau. Er kaufte zwei weitere Güter dazu, Haubitz bei Döben und Oelschau bei Mühlberg an der Elbe, die er bewirtschaftete und auf denen er seinen Lebensabend verbrachte.
Seine Nachfahren kamen dann wirklich in den Genuss des umfangreichen Besitzes, der nun ungefähr 1000 Hektar umfasste- für damalige sächsische Verhältnisse ein sehr großer Betrieb.
Man sagte, dass in Haubitz und Oelschau das Gerd verdient werden musste, um in Döben die überwältigende Bausubstanz zu erhalten. Allein die Pflege der hektargroßen Dachflächen muss Unsummen verschlungen haben.
1832 wurden in der beispielhaften Agrarreform in Sachsen die Frondienste und Abgabenpflicht der untertanen Bauern durch den Aufbau einer Landrentenbank abgelöst. Die Bauern zahlten 25 Jahre lang Gelder in erträglichen Höhen ein und die Bank befriedigte die gesetzlich festgelegten Ansprüche der Rittergutsbesitzer. Damit erhielten die Bauern eigenes Land, wurden von den ungeliebten Pflichten gegenüber den Rittergutsbesitzern frei und konnten nun selbstverantwortlich wirtschaften. Dadurch, durch die Entwicklung des Kunstdüngers und das verbesserte Wissen über die Agrarwirtschaft kam es zu einem enormen Entwicklungsschub in der Landwirtschaft ab der 1. Hälfte des19. Jahrhunderts.
Otto, der Enkel Antons, reiste als 26- jähriger 1846/47 mit einem Freund durch Belgien, Frankreich, Italien, Sizilien, Malta, Ägypten, Griechenland, Konstantinopel, zum schwarzen Meer und durch die Wallachei, Siebenbürgen, Ungarn und Österreich, bevor er, reich gebildet, das Gut übernahm. 1850 heiratete er Amelie Auguste aus dem Winkel, die ihm nach 8 Töchtern 1865 den ersehnten Sohn, Carl Christian Ehrenreich gebar.
Amalie muss eine starke Frau gewesen sein. Als im Januar 1957 in Abwesenheit ihres Mannes das Schloß brannte, reagierte sie mit Ruhe und Umsicht während der gerade neu eingesetzte Verwalter die Nerven verlor und schließlich vor dem Feuer floh. 2 Mägde sollten Vorräte aus dem im Keller „Mehlhölle“ unterhalb der Küche, holen. Es war wohl so, dass eine Lampe herabfiel, die Mägde sich aber beide entsetzlich fürchteten und die Flucht ergriffen, anstatt das Lichtlein zu löschen. Erst einige Tage später bemerkte man den Schwelbrand, der sich im Keller zwischen dem gelagerten Holz entwickelt hatte, er griff nun auf das gesamte Gebäude über und hatte schon eine große Kraft.
Einige Räume konnten gerettet werden, Otto und Amalie bauten mit dem Landesbaumeister Carl Moritz Hähnel das Schloß im Neo-Renaissancestil wieder auf. Aus der mittelalterlichen Burg wurde so durch flachere Dächer und einige Verziehrungen ein etwas freundlicher wirkendes Schloß.
Als der östliche Treppenturm um 1970 gesprengt wurde, fand der ehemalige Döbener Bürgermeister in der Turmkapsel ein Text, dessen Schlußsätze uns heute, nach den gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten 60 Jahre, die Gänsehaut über den Rücken schickt:
„So wünsche ich denn, dass das alte würdige Schloss meiner Väter von Neuem noch lange Jahrhunderte stehe und eine Zierde unseres schönen Muldentales sei, ein Wohnsitz der Ehre Gottes und der festen und unzerbrüchlichen Treue gegen König und Vaterland.
Du aber, der Du zuerst wieder als rechtmäßiger Herr von Döben dieses Papier seiner luftigen Behausung entnimmst, so Gott will vielleicht einer meiner späten Nachkommen, und deren sonst nach Dir, Euch wünsche ich zunächst, dass nicht eine traurige Veranlassung es Euch in die Hände führt, sondern Ihr Euch fortwährend eines zufriedenen und ungestörten Besitzes dieses schönen Gutes erfreuen möget, seid mir freundlichst gegrüßt, wenn schon längst ich nicht mehr bin und bewahrt mir und den Meinen wie Euren sämtlichen Vorfahren ein ehrendes Andenken.“
Otto v. Böhlau, am 29.7.1857
In Ottos und Amalies Zeit fiel eine zarte Liebesgeschichte, eine Geschichte, die uns heute noch oft beschäftigt: Zum Ende des 19.Jahrhunderts öffnete sich Japan der westlichen Welt und entsandte einige begabte Studenten nach Europa. Besonders das Deutsche Kaiserreich mit seinen berühmten Universitäten und dem straff organisierten Militär interessierten die Japaner. 1884 kam der Medizinstudent Mori Ogai als Militärarzt nach Deutschland und studierte in München, Leipzig und Berlin unter Pettenkofer und Koch. Während seines Leipzigaufenthaltes nahm er an einem Manöver im Muldentalkreis teil und wurde als Offizier in den umliegenden Schlössern einquartiert. So übernachtete er am 5. September 1885 im Schloß Döben und machte die Bekanntschaft mit Otto, seiner Frau Amalie und den Töchtern. Er schreibt darüber in seinem Deutschlandtagebuch : “Der Schlossherr von Bülow ( hier hat er sich verhört, er hieß Böhlau) ist ein älterer Herr im Alter von 60 Jahren. Er bat uns darum, unsere Namen in sein Gästebuch einzutragen. Dann ließ er seine sechs Töchter holen (die anderen drei Geschwister waren wohl ausser Haus…) und die Gäste begrüßen. Maria ist von außergewöhnlicher Schönheit. Ida hat bildhübsche Augen. Ein Mädchen ist dabei, über dessen Stirn schwebt stets ein Hauch von Traurigkeit. Ihren Namen habe ich vergessen. Toni ist sehr schlank und hat große Augen. Anna hat eine kleine Nase und eine hervorspringende Stirn und Helene einen krummen Rücken.“ – Ihn muß die Begegnung mit der Familie sehr beeindruckt haben, denn, nach Japan zurückgekehrt, revolutioniert er nicht nur die Militärmedizin und die japanische Literatur, indem er Goethe und Schiller als erster ins Japanische übertrug, sondern er schrieb auch einige bedeutende Erzählungen. In der Novelle
„ Fumizukai“ – „Der Bote“, verwebt er die Erlebnisse in Döben mit seine Eindrücken vom Machener Landschaftspark in einer zarte Liebesgeschichte. Ida von Böhlau spielt darin die Hauptrolle, aber ob es wirklich eine Beziehung zwischen den beiden gab, ist nicht bekannt. Jedenfalls war es für ihn undenkbar, sich mit einer Ausländerin einzulassen, da dies seine Abstammung aus einem Samuraigeschlecht nicht zuließ. Bei Ida war der Fall genauso klar, auch sie musste sich den Regeln ihrer adligen Abstammung unterwerfen, nie hätte sie die Erlaubnis erhalten, sich mit einem Ausländer zu verbinden. Über die Begegnung mit dem japanischen Gast, über seine Verehrung für Ida hat auch nie jemand aus der Familie erfahren, wenn sich 1977 Toshiyuki Kawakami, der damalige japanische Generalkonsul in Düsseldorf nicht auf den Weg gemacht hätte, die Spuren von Ida und Ogai und das Schloss Döben zu suchen. Es war nicht leicht, in die DDR zu reisen und kurz nach den Sprengungen des Schlosses nach den adligen Besitzern zu fragen, aber nach langem Suchen fand er die Reste des Döbener Schlosses und nahm Kontakt zu Jutta von Reiswitz auf, deren Großvater Otto von Böhlau war. So erst erfuhr die Familie, dass ihre Tante Ida in Japan fast die Bekanntheit von Goehtes Gretchen genoss.
Seitdem kommen die Nachfahren des großen Dichters, japanische Literaturliebhaber und Militärhistoriker nach Döben, um die Lebensstätte von Ida kennen zu lernen und um das Schloß- beziehungsweise das, was davon übrig geblieben ist- zu besuchen. Liebevoll begleiten sie unser Bemühen um diesen geschändeten Ort, dokumentieren das Wachstum unserer Kinder und die Entwicklungen auf dem Schlosshof in den Ogai- Jahresbüchern. Unserer Familie macht es große Freude, zwischen den japanischen Schriftzeichen die Namen unserer Kinder und Bilder unseres Hauses zu entdecken, es sind freundschaftliche Beziehungen entstanden.
Carl Christian Ehrenreich, der Sohn Ottos, der letzte Besitzer des Rittergutes Döben heiratete 1893 Annie, die Tochter des Freiherren Karl von Gersdorff und Charlotte Sultana Krim- Chirey.
Die Geschichte von Annies Eltern wurde mir von ihrer Enkeltochter, Nora von Reiswitz, ( Juttas Tochter) erzählt, sie ist so märchenhaft romantisch, dass ich sie an dieser Stelle davon berichten möchte:
Der aus Schleswig stammende Karl, Baron von Gerstorff kam als junger Leutnant an den Hof der Zarenfamilie nach St. Petersburg.
Dort lebte Alexandrine, die Patentochter des Zaren, die Hofdame der Zarin, die Tochter des Sultans Katte` Chirey von der Krim!
War es bei einem Ball am Hofe, ein gemeinsamer Tanz? – die Liebe erwachte zwischen den beiden jungen Leuten, sie wurde so stark, dass der Leutnant es wagte, auf die Krim zu reisen um beim Sultan die Hand Alexandrines zu erbitten.
Dieser jedoch war nicht ansprechbar für einen so unbedeutenden jungen Mann, ohne Landbesitz wurde er nicht einmal in den Vorhof des Sultanpalastes eingelassen.
Enttäuscht kehrte er nach St. Petersburg zurück und klagte mit Alexandrine um die verlorene Liebe. Sie verzweifelte schier, ihre darauf folgenden Schwächen fielen schließlich auch der Zarin auf. Nach dem Geständnis der unglücklichen Liebe wurde der Zar eingeschaltet. Er versah den jungen Offizier kurzerhand mit ausgedehnten Ländereien am Schwarzen Meer, der daraufhin wieder auf die Krim eilte. Diesmal vorgelassen, erhielt er den ersehnten Segen des Sultans, Alexandrine in die Ehe zu führen!
Beide lebten glücklich verheiratet bis 1855 mit ihren zwei kleinen Kindern auf den Ländereien am Schwarzen Meer. Eines Tages erreichte ein Ruf aus Schleswig diese Idylle woraufhin die junge Familie eine längere Reise in die Heimat Gersdorffs plante.
Um sich von ihrer kurz zuvor verstorbenen Mutter zu verabschieden, beugte sich Alexandrine über das Grab und wurde dabei von einem ungeheuren Erdbeben überrascht, sie sank vor Schreck auf die Ruhestätte ihrer Mutter und verstarb an Ort und Stelle.
Erschüttert beerdigte Karl die geliebte Alexandrine, nahm die seine zwei kleinen Kinder und die sieben Jahre jüngere Schwester Alexandrines – Charlotte Alimee`- als Hilfe zu sich und reiste zu seinem heimatlichen Gut Fahrenstedt. Nach weniger als einem Jahr kam es dazu , dass er seine Schwägerin heiratete und damit seinen Kindern eine zweite Mutter gab. Diese gebar ihm noch einmal 10 Kinder, von denen Annie nun in Döben einheiratete.
Das Erbe der Sultanstöchter war sehr vielseitig, sicherlich waren Ländereien, kostbare Möbel, Schmuck und Teppiche als Mitgift in die Familie gekommen, dies verlor sich aber größtenteils in den Wirren des letzten Weltkrieges. Geblieben jedoch ist einigen Nachkommen bis in die heutigen Generationen eine Spur des tatarischen Blutes: die hohen Wangenknochen, die buschigen Augenbrauen, die tiefbraunen Augen, der dunkle Teint, das schwarze Haar, der Mut und der starke Wille.
Jutta von Böhlau, die jüngste Tochter Annies, heiratete 1932 Wenzel Freiherr von Reiswitz, Besitzer des Rittergutes Podelwitz an der Mulde, wenige Kilometer von Döben entfernt. Als sie den einmarschierenden Russen mutig entgegentrat –sie war 33 Jahre alt, und als adlige Gutsfrau prädestiniert für russische Repressalien, andere junge Frauen versteckten sich aus Angst vor Vergewaltigungen – bekam sie zu hören: „ Du keine Deutsche, du eine von uns“ – Jutta hatte die hohen Wangenknochen und den dunklen Teint ihrer fürstlichen Großmutter geerbt, die russischen Soldaten taten ihr nichts.
Jahre später nach Enteignung und Vertreibung aus Podelwitz haben sie und ihr Mann als „Petrarca“ und „Laura“ wundervolle Salatrezepte entworfen, das Köstliche daran ist, dass alle einen kleinen „Schuss“ haben und sie in Sonetten verfasst sind:
Geleit- Sonett
Der Dichtung höchste Kunst ruht im Sonette,
Der Speisen hohe Kunst ist der Salat,
Ihn zu erschaffen künstlerische Tat!
So meint es der Gourmet und die Gourmette.
Petrarca mixt auf der Salat- Palette
Und schickt an Laura gleich das Resultat,
Die höchst begabt ihm nachgeeifert hat.
So mixen sie nun beide um die Wette.
Sie legen erst den Grund- nicht zu vermeiden
-Um dann sich für die Soße zu entscheiden,
Denn dem Salat verleiht ssie erst den Rang.
Salate feinster Art gelingen beiden,
Die in Sonette sie sofort verkleiden,
Woraus denn das Salat- Sonett entsprang
Die Zeit des Untergangs
Krieg, Willkür & Sprachlosigkeit
Juttas Mutter Annie musste 1944 den Tod ihres einzigen Sohnes im Felde und 1945 den ihres Mannes hinnehmen, sie erlebte die Enteignung und Vertreibung aus Döben im Herbst 1945 und starb selber kurz danach. So erlosch die Familie von Böhlau auf Döben im Mannesstamme, die sächsische Seitenlinie der Belows, die seit 1779 hier ansässig gewesen war. Den Erbanspruch auf den Besitz erhielt Annies Tochter Elle von Böhlau, die das Rittergut weiter an ihren Neffen Carl Otto von Hoenning o`Caroll vererbte. Aber, was war da zu erben?
Die Tage im April 1945 waren gezeichnet von der Angst vor den heranrückenden Russen, die durch die Berichte der elenden Flüchtlinge aus den Ostgebieten noch verschärft wurde. Endlose Trecks zogen vor der Roten Armee her auf ihrem Weg in den Westen durch die Dörfer, suchten Bleibe und Nahrung für Mensch und Tier. An der Mulde stauten sich die Menschen, da die Übergänge in das amerikanisch besetzte Gebiet versperrt waren. Die Brücken nach Grimma und die Golzener Brücke waren gesprengt worden, jeder, der sich bis zur Muldenmitte durch den Fluss kämpfte, wurde erschossen. Plünderungen, Vergewaltigungen, Erschießungen waren an der Tagesordnung, Vieh wurde von der Weide weg gestohlen oder gleich dort geschlachtet, Typhus, Klauen- und Maulseuche brachen aus, die Hölle war los.
Die Gesellschaft der sowjetisch besetzten Zone sollte nach russischem Vorbild umgestaltet werden, in Russland ausgebildete Deutsche besetzten hohe Positionen und begannen sofort mit der Umstrukturierung.
Industrielle, Großgrundbesitzer und den Adel machte man pauschal für Hitlers Aufstieg verantwortlich, sie wurden vertrieben, z.T. verhaftet, ihr Besitz wurde zum Volkseigentum erklärt und verteilt, das Andenken an feudale Strukturen sollte vollkommen ausgelöscht werden.
Reinhard Seyfert schreibt in seiner Chronik von Dorna, einem Dorf bei Döben: „Die verwitwete Frau von Böhlau mit ihrer Tochter musste ( im Oktober 1945) das Schloß verlassen und alles, Wäsche, Möbel, Vorräte, Vieh …und Geschirr im Stiche lassen- zur Beute anderer.“
Das Schloß hatte schon Flüchtlinge aufgenommen, nun wurde auch noch das letzte Zimmer frei. Aus Pommern kam Frau Müller mit ihren Kindern nach Döben, der Name war unauffällig genug, dahinter verbarg sich jedoch Hertha, die 3. Tochter der Böhlaus, die den Gutsbesitzer Müller in Hinterpommern geheiratet hatte. Auf ihrer Flucht lebte sie nun kurz mit ihren 5 Kindern in Döben- im Schloß ihrer Eltern. Durch einen fingierten Arztbesuch gelang es der Familie, die Mulde zu überqueren, um in die amerikanische Zone zu gelangen. Man floh zu den Verwandten Arnim auf das Schloß Kitzscher, die ihrerseits bereits geflohen waren, blieb aber als „Junker“ unerkannt. Als aber das Gebiet westlich der Mulde und der Elbe von den Amerikanern im Tausch gegen einen Teil Berlins an die Russen gegeben wurde, gab die Mutter, Hertha Müller, die weitere Flucht auf. Sie und ihre Schwester Elle ließen sich in Riesa nieder, wo sie Arbeit in einem Altersheim fanden. Ein Teil der Kinder blieb in der DDR, zwei Töchter flohen in den Westen. Die eine, -gerade 70 geworden- ist unsere Tante Christa, die keine Mühe scheut, aus Hamburg nach Döben zu reisen, um uns beim Fußfassen an diesem Ort zu helfen.- Auch sie stammt von der tscherkessischen Fürstentochter ab und ersetzt 12 Feuerwehrmänner.
Die Flüchtlinge im Schloß litten große Not, der kalte Winter 1945/46, ständiger Hunger, Verlust der Zugtiere oder des letzten geretteten Eigentums begleiteten die Geschundenen. Oft genug waren es die Frauen und Kinder, die allein die langen Märsche zu Fuß bewältigt hatten, in manchen Fällen sogar nur noch die Kinder, die dem Schicksal standhalten mussten. Wunderte es da, dass das Meißner Geschirr als Futterschale für das Geflügel genutzt wurde?, dass Holz verfeuert wurde, wo es nur greifbar war? – Deckenbalken und Fußbodendielung wanderten in den Ofen. Nur Überleben!!
Das Schloß erlebte mehrere Plünderungswellen und alles bewegliche Gut, die Barockschränke, das wertvolle Archiv, das teilweise im offenen Viehwagen zur Papiermühle gefahren wurde, teilweise doch ins Staatsarchiv gebracht und damit gerettet wurde, die Kanonen und Rüstungen, die Bilder, Bücher, Teppiche, das Silber, die bedeutende Glassammlung und das Geschirr, all dies wurde zu Volkseigentum erklärt und fand neue Besitzer, die große Waffensammlung wurde in der Mulde versenkt.
Selbst die barocke Urne, das Grabmal seines Vaters, das Anton Sigismund Justin von Below 1779 mit nach Döben brachte und das 166 Jahre im Pavillongarten gestanden hatte, befindet sich noch heute in einem fremden Vorgarten, ca.3 km Luftlinie vom ursprünglichen Standort entfernt.
Durch den Abtransport in das Staatsarchiv konnte das vorliegende Kochbuch gerettet werden, und wir sind froh darüber, in den noch erhaltenen Unterlagen blättern zu dürfen.
Besucher berichteten mir bei Führungen, dass sie als Schulkinder zum Schloß Döben gefahren wurden, um die Seidentapeten von den Wänden zu reißen, der Hass auf die Herren von gestern muss unendlich groß gewesen sein, oder sollten diese Taten nur das energische Durchgreifen der neuen Herren begründen und den Volkszorn nach so viel Schmach kanalisieren? Brauchte man Sündenböcke? Im Hintergrund wurden eifrig die Fäden gezogen, die Macht war- trotz Wahlen mit demokratischen Anstrich- längst verteilt, was als Volkswille verkauft wurde, war von langer Hand in geplant.
In diese Zeit fiel auch ein sowjetischer Befehl, der Schlösser und Herrenhäuser ihres Charakters entheben sollte: mancherorts wurden intakte Schlösser schon 1945 gesprengt, andere wurden umgebaut, entstellt, aus Parkanlagen wurden Kleinsiedlungen gemacht, in Sichtachsen wurden Hochhäuser gebaut, der Adel sollte nicht nur aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, es sollte das feudale Erbe radikal aus der Erinnerung gelöscht werden.
Das Schloss Döben, das nach Kriegsende fast intakt gebliebenen war, diente also als Baustofflager, da man sich vorerst wohl eine Sprengung der teilweise über einen Meter dicken Mauern nicht zutraute- oder war es zu teuer? Jeder durfte sich an den Balken, den Steinen und den Dachschindeln bedienen. Bereits zum Beginn der 50 er Jahre hatte das Schloß kein Dach mehr, es verfiel zusehends, Steine rutschten auf die darunter liegende Straße, man entschloß sich zu kleineren Sprengungen. Starke Widerstände regten sich in der Bevölkerung, aber in einem langen Schriftwechsel, der die Verzögerung und den Unwillen zum Erhalt auf höheren Ebenen dokumentiert, werden immer wieder Gründe für weitere Sprengungen vorgeschoben, obwohl die Denkmalpflege auf`s Schärfste protestierte. 1972 holte der ehrgeizige Sprengmeister noch einmal zu einem Schlag gegen die ehrwürdige Burgruine aus, in mühseliger Kleinarbeit sprengte er die Burg Stück für Stück. Als der stolze Taubenturm fällt- derartige Türme waren Herrschaftszeichen- sieht man in dem glücklicherweise vorliegendem Filmdokument, dass er seine Faust zum sozialistischem Gruße erhebt und stolz auf den Trümmern herumklettert.
Da haben wir sie wieder, unsere Steine!
Einzelteile des Schlosses, die Bruchsteine, behauene Fenstersimse und Türstürze liegen überall verstreut auf dem Gelände, sie wurden den Hang herunter geschoben, in die Burggräben gefüllt, weggefahren oder einfach liegengelassen. Gras wuchs über die Ruine. Schweineställe wurden über den mittelalterlichen –verfüllten- Burggräben gebaut, der Park im Pavillongarten mit seinen Hochstammrosen, seinen seltenen Gehölzen und dem wunderbaren Ausblick wurde umgeackert und mit Kartoffeln und Tannenbäumen bepflanzt. Zum Schluß diente der barocke Pavillon dem LPG- Vorsitzenden als Laube mit Kleingarten.
Die stolzen Gebäudemassen des Rittergutes Döben waren gesprengt, abgebrannt, verfallen, keiner kümmerte sich um die Ruinen, alles was nicht mehr nutzbar war, ließ man liegen. Es war nichts mehr nutzbar. Ein Tor versperrte den Zugang, der Urwald begann wieder zu wachsen. Ein verlorener Ort.
Unsere Zeit
Weg zwischen Schutt & Hoffnung
Im August 1991 saßen mein Verlobter Hubertus und ich bei seinen Eltern auf dem Sofa in Kiel und schauten Bilder aus Döben an, die der in der DDR gebliebene Teil der Böhlau`schen Nachfahren -Erhard Müller mit seiner Familie- uns zugeschickt hatte. Anton Sigismund Justin entstammte ja dem pommerschen Geschlecht der Herren von Below, er begründete den sächsischen Seitenast durch seine Einheirat in die Familie von Arnim. Sein Name wurde dem sächsischen nur ein wenig angepasst, aus dem klaren, nordischen „Below“ wurde das etwas gemütlicher klingende, sächsische „Böhlau“. Döben war einer der wenigen Besitze derer von Below in dem Gebiet der DDR, alle anderen ehemaligen Güter der Familie liegen im heutigen Polen oder Russland.
Wir waren jung verliebt und voller Tatendrang, natürlich wollten wir uns das Grundstück einmal ansehen. Kurz darauf standen wir nun auf den Ruinen der Burg Döben, besahen die Kirche mit den Spuren der Familie, sprachen mit der äußerst entgegenkommenden Bürgermeisterin und dem Pfarrer, mit dem uns bald eine tiefe Freundschaft verband. Mein Verlobter überraschte mich mit der Frage an den Pfarrer Bernd Scheifler, uns noch im selben Jahr in der Döbener Kirche zu trauen. Wir spürten keinerlei Berührungsängste mit uns als den ehemaligen Staatsfeinden Nr. 1.
Ja, es stimmt, unsere Familien sind Nachfahren von Rittern, allein die Wappen weisen darauf hin: das Wappen der Belows und damit auch der sächsichen Böhlaus trägt drei asiatisch anmutende Köpfe im Schilde und einen vierten in der Helmzier. Die Wappensage erläutert, daß einst in den Türkenkriegen einer dieses Geschlechtes sich besondere Verdienste erwarb, als er 3 seiner gefürchteten Gegner das Haupt abschlug und auf Spießen vor seinem Zelte zur Schau stellte.
Das Wappen der Familie meiner Mutter, v. Klitzing, scheint auf ähnliche Weise entstanden zu sein: zwar erscheinen im Schilde nur drei Tatarenmützen, dafür aber in der Helmzier ein Tatar mit Mütze aber mit abgeschlagenen Armen und Beinen.
Die Familie v. Arnim, verwandt und bis heute befreundet mit den Belows, in deren Döbener Zeit wohl das Döbener Kochbuch entstand, tragen ein friedlich erscheinendes Wappen: zwei weiße Streifen auf rotem Grund. Friedlich? – Keineswegs! Denn die weißen Streifen sind 2 Brücken über die Aller bei Verden, die sich durch das Blut der Sachsen rot färbte, als Karl der Große im Jahre 782 die unbeugsamen Edlen dieses Stammes enthauptete.
Sag` mir, was Du im Schilde führst und ich sag` dir, wer Du bist!
Die Menschen aber, die uns in Döben begegneten, waren vorbehaltlos und freundlich, sie kamen auf uns zu und die gemeinsame Neugier auf die Zukunft versprach interessante Entwicklungen. Wir verliebten uns in diesen zauberhaften Ort, in seine Steine und in seine Geschichten.
Nach unserer Hochzeit versuchte mein Schwiegervater, Karl –Friedrich von Below mit Erlaubnis des Erben Carl- Otto von Hoenning O`Carroll das Trümmergrundstück von der Treuhand zu erwerben. Was zu Beginn wie eine kurze Verhandlung aussah, sollte sich mehr als ein Jahr hinziehen. Hatte man doch in der Treuhand, die die Bodenverwertung an die BVVG abgab, entdeckt, dass unsere Herzen für diesen geschundenen Ort schlugen, der Kaufpreis stieg ins Unermessliche. Als er auf 660. 000 DM für 2,5 Hektar gesprengtes Schloß mit Ruinenhof, verfüllten und unbekannten Kellern und Gräben, abrutschendem Hang und fantastischen Blick anwuchs, zog mein Schwiegervater sein Kaufangebot zurück. 3 Monate später meldeten sich die jungen, smarten Herren wieder und boten das Ganze zu dem „Schnäppchen“-Preis von 330.000 DM an. Er kaufte.
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So zogen wir, die jungen Belows, am 1. Advent 1993 – zwei Jahre nach der wunderschönen Hochzeit – voller Hoffnungen, Erwartungen und Neugier in ein kleines Einfamilienhaus, das mein Schwiegervater im ehemaligen Junkergarten für uns gebaut hatte, 300 m vom Schloßhof entfernt.
Wir beide stammen aus Familien, die als adlige Grundbesitzer östlich der Elbe 1945 ihren gesamten Besitz verloren. Wir fühlten uns noch immer als Flüchtlinge, obwohl der Verlust der Heimat und die Demütigungen nun mehr als 40 Jahre, mehr als eine Generation, zurücklagen. Große Unruhe bewegte unsere Familien, die unter schwierigsten Umständen begannen, sich neue Existenzen aufzubauen. Aus dieser Zeit stammt ein Rezept für Brennesselsuppe, die bei meinen Großmüttern eine beliebte nährstoffhaltige Bereicherung des kargen Speisplans bot, natürlich verhasst bei den Kindern, die die „Armen Ritter“ mehr liebten.
Entbehrungen, häufiges Umziehen, ruheloses Suchen nach Heimat und einer neuen, einer eigenen Identität kennzeichnen diese 40 Jahre.
Vielleicht ist es das, was uns nach Döben spülte: das glückliche Ende einer Flucht.
Es folgten aufregende Jahre, die mit dem Aufbau der Lebensgrundlage unserer Familie, der Augenarztpraxis meines Mannes, begannen. Kurz nacheinander kamen Jakob, Justin, Johann und mit einigem Abstand 2002- ein wunderbarer Eisweinjahrgang- Jutta zur Welt.
Die Schulzeit der Kinder rückte näher. Wegen des Kinderrückganges in den unsicheren Nachwendezeiten sollte die seit 1598 bestehende Döbener Dorfschule geschlossen werden.
Mit anderen christlichen, reformwilligen Eltern gelang uns die Gründung der Evangelischen Grundschule in Döben.
Mein Mann gründete den Grimmaer Ruderverein neu, der in den 50 –er Jahren dem sozialistischen Vormachtanspruch in der Gesellschaft zum Opfer gefallen war.
Auf der Burgruine machten wir uns daran, das Gelände zu ordnen. Mein Schwiegervater baute den Husarenstalls wieder auf, wir begannen mit der Notsicherung der1548 erbauten Brauerei, die mir sehr am Herzen lag, da sie krumm und schief in ihrer Form, dem gesamten Hof, nein: dem Ruinenhaufen eine Fassung gab. Die ABM- Kräfte des Freundeskreises Dorf und Schloß Döben e.V. waren mit den Arbeiten daran unzufrieden, „so habe man ja trotz 30- jähriger Erfahrung am Bau ja noch nie gearbeitet, man müsse das alte Zeug wegwerfen, alles ganz neu, ordentlich bauen, verstehen Sie? –rechte Winkel und gerade Wände ohne Bäuche, ja, – aber so???“ – Ich hatte drei starke Verbündete, neben dem herausragenden Architekten Ulrich Bode aus Leipzig, dem es mit viel Liebe und Geduld gelungen ist, die alte Strukturen des Schlosshofes mit den Erfordernissen moderner Nutzung in einen harmonischen Zusammenhang zu bringen, halfen uns noch unser Denkmalpfleger, Günter Unteidig und Frank Pastille , beide lieben alte Häuser und haben schon so manches vor dem sichern Untergang gerettet. Stück für Stück gelang es, in die Ruine Halt zu bringen, die Bäuche zu festigen, das alte Dach zu sanieren und über einem Teil ein neues zu richten. Mit viel Segen und Beharrlichkeit, einer Förderung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, den ABM- Kräften und unserem Eigenkapital gelang die Notsicherung der Alten Brauerei.
Gleichzeitig bauten wir in die 8 m hohen Bruchsteinmauern der ehemaligen Malztenne unser Haus. 4 Monate haben wir mit Nachbarn und unseren 3 Söhnen den meterhohen Brandschutt aus den Mauern geräumt, der seit dem verheerenden Brand 1973 im damaligen Rinderstall liegen geblieben war. Im März 2000 konnten wir unser neues Heim beziehen, wir zogen mitten auf die Baustelle, Probleme waren vorprogrammiert. …
Die überrollten uns dann auch gewaltig, immer neue Fronten taten sich auf. Berufliche Probleme explodierten, die Vorstandsarbeit in der Schule und im Heimatverein eskalierte, alles schien sich gegen uns verschworen zu haben.
Missverständnisse häuften sich zwischen denen, die hier im Osten gelebt hatten und uns Zugereisten. Wir mussten verstehen, dass wir zwar dieselben Wörter benutzten, aber oftmals völlig andere Bedeutungen damit verbanden. Lange hatten diese Konflikte unentdeckt hinter vordergründigen Freundlichkeiten vor sich hingeschwelt, nun trafen sie uns, sie waren ausgesprochen und damit auch erkennbar.
Nicht immer half Geduld in brenzligen Situationen, aber auf lange Sicht ist sie das Einzige neben einer fröhlichen und offenen Kommunikation, das die Spannungen löst, viel ,viel Zeit ist nötig für das Zusammenwachen der Deutschländer.
Die Zeit verging wie im Fluge.
2003 feierte die Freiwillige Feuerwehr Döben ihren 70. ten Gründungstag auf dem Schloßgelände, für uns bedeutete dies nach 10 Jahren unseres Hierseins die wirkliche Aufnahme im Dorf, dies war unser Ritterschlag!
Die aktiven Mitglieder des Heimatvereins „Freundeskreis Dorf und Schloß Döben e.V.“ organisierten kulturellen Höhepunkten im Dorf und wirkten segensreich auf dem Schloßgelände, da sie neben den Baumaßnahmen die Aufräumarbeiten.
unterstützten oder erst ermöglichten.
Dazu kommt die aufwändige Arbeit, die durch Schüler aus Glauchau, Hohenstein- Ernsttal und Grimma seit 1995 geleistet wird: behutsam legen sie die Schloßruine von Sprengschutt frei und bewegen tausende Tonnen der Steine, der Erde und des Schutts- mit Freude und Interesse. Eine für uns unbezahlbare Arbeit !
In der Nacht zum 3. April 2004 brannte die Alte Brauerei bis auf die Grundmauern aus, unser Haus blieb glücklicherweise stehen. Mit großer Sicherheit wurde dieser Brand bewusst gelegt.
Wir hatten für den Erhalt des Gebäudes so viel gebetet, wir hatten Erfolg gehabt, nun liegt alles Weitere wieder in Gottes Hand. Nun beginnen wir mit dem Neuaufbau und bisher haben sich alle Faktoren dafür zu unseren Gunsten gewendet! So viele Menschen in unserer Umgebung haben nach dem Brand ihre ehrliche Anteilnahme und Erschütterung ausgedrückt, dass wir uns einmal mehr in unserer neuen Heimat angekommen und angenommen fühlen.
Zwölf Jahre sind vergangen. Vieles ist schon aufgeräumt, die vorderen Burggräben und der Schlossgrundriss sind größtenteils vom Sprengschutt befreit, die Kartoffeln und die Tannen haben den Park wieder verlassen, bald sollen 200 Duftrosen wieder die Seelen der Menschen berühren.
Mit seinen alten Bäumen, seinen Ruinen, den daraus schon wiederbelebten Gebäuden und dem wunderbar weitem Blick in die Landschaft hat dieser wiederentdeckte Ort eine anregende, starke Wirkung. Die ganze mehrtausendjährige Geschichte ist hier präsent, denn die Phantasie hat viel Raum, um die Steine zu den Geschichten der Geschichte zusammenzusetzen.